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Insolvenzrechtliche Einordnung eines Abfindungsanspruchs – Rechte und Pflichten im Insolvenzverfahren

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Die insolvenzrechtliche Behandlung eines Abfindungsanspruchs ist eine komplexe Materie, die sowohl Arbeitnehmer als auch Insolvenzverwalter vor rechtliche Herausforderungen stellt. Abfindungen entstehen in der Regel durch Kündigungsschutzklagen oder Aufhebungsvereinbarungen und sind oft ein bedeutender Teil des finanziellen Ausgleichs für Arbeitnehmer. Doch was passiert, wenn der Arbeitgeber insolvent ist? Dieser Artikel beleuchtet, wie Abfindungsansprüche im Insolvenzverfahren eingeordnet werden, welche rechtlichen Grundlagen gelten und welche Ansprüche Arbeitnehmer geltend machen können.

Rechtliche Grundlagen der Abfindung

Eine Abfindung ist eine einmalige Geldzahlung, die Arbeitgeber Arbeitnehmern im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlen, meist als Ergebnis eines gerichtlichen Vergleichs oder einer außergerichtlichen Einigung. Abfindungen sind im deutschen Arbeitsrecht nicht gesetzlich garantiert, sondern beruhen häufig auf Vereinbarungen oder tariflichen Regelungen (§ 1a KSchG).

Im Insolvenzverfahren jedoch wird der Abfindungsanspruch durch die Insolvenzordnung (InsO) geregelt. Der Anspruch des Arbeitnehmers hängt entscheidend davon ab, ob die Abfindung vor oder nach der Insolvenzeröffnung begründet wurde.

Insolvenzrechtliche Einordnung eines Abfindungsanspruchs

  1. Abfindungsansprüche vor Insolvenzeröffnung
    Wurde die Abfindung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbart oder gerichtlich zugesprochen, gilt der Anspruch als Insolvenzforderung (§ 38 InsO). Insolvenzforderungen sind Forderungen, die gegen den Schuldner bestehen und vor der Insolvenzeröffnung begründet wurden. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer die Abfindung nur im Rahmen der Insolvenztabelle anmelden, wobei die Auszahlung in der Regel von der Quote abhängt, die für alle Gläubiger festgelegt wird.Beispiel: Ein Arbeitnehmer erzielt im Januar einen gerichtlichen Vergleich, in dem ihm eine Abfindung zugesprochen wird. Der Arbeitgeber meldet im März Insolvenz an. Die Abfindung wird als Insolvenzforderung behandelt, da sie vor der Insolvenzeröffnung begründet wurde.
  2. Abfindungsansprüche nach Insolvenzeröffnung
    Abfindungen, die nach der Insolvenzeröffnung entstehen, gelten als Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO). Masseverbindlichkeiten sind Forderungen, die während des Insolvenzverfahrens im Interesse der Insolvenzmasse entstehen. Sie haben Vorrang vor Insolvenzforderungen und werden vorab aus der Insolvenzmasse beglichen.Beispiel: Der Insolvenzverwalter kündigt einem Arbeitnehmer nach der Insolvenzeröffnung. Es wird eine Abfindung vereinbart, um das Arbeitsverhältnis zu beenden. Dieser Anspruch hat Vorrang und muss aus der Insolvenzmasse beglichen werden.
  3. Abfindungen aus Sozialplänen
    Abfindungen, die auf Sozialplänen beruhen, haben gemäß § 123 Abs. 1 InsO eine Sonderstellung. Diese Ansprüche werden als Masseverbindlichkeiten behandelt, allerdings gibt es eine Begrenzung: Die Summe aller Ansprüche aus einem Sozialplan darf nicht mehr als ein Drittel der Insolvenzmasse betragen, die für die Gläubiger verfügbar ist.

Praktische Herausforderungen

Die insolvenzrechtliche Einordnung von Abfindungsansprüchen führt häufig zu Streitigkeiten. Arbeitnehmer sehen die Abfindung oft als eine Art Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes, während Insolvenzverwalter primär die Interessen der Gläubiger berücksichtigen müssen. Typische Probleme sind:

  • Nachweispflicht: Arbeitnehmer müssen belegen, dass der Abfindungsanspruch rechtlich begründet ist.
  • Prioritätenkonflikte: Insolvenzverwalter priorisieren häufig Forderungen, die unmittelbar mit der Fortführung des Betriebs zusammenhängen, was Abfindungsansprüche zurückstellen kann.
  • Eingeschränkte Auszahlung: Bei Insolvenzforderungen hängt die Auszahlung von der Verteilungsquote ab, die oft deutlich unter 100 % liegt.

Relevante Rechtsprechung

  1. Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 27.06.2019, Az. 6 AZR 459/18)
    Das BAG stellte klar, dass eine Abfindung, die vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurde, grundsätzlich als Insolvenzforderung zu behandeln ist. Arbeitnehmer können diese Forderung nur im Rahmen der Insolvenztabelle anmelden.
  2. Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 12.10.2023, Az. IX ZR 22/22)
    Der BGH entschied, dass Masseverbindlichkeiten im Insolvenzverfahren nur dann Vorrang haben, wenn sie eindeutig nach Insolvenzeröffnung begründet wurden und im Interesse der Masse stehen. Abfindungen, die der Insolvenzverwalter selbst vereinbart, müssen deshalb prioritär behandelt werden.
  3. Europäischer Gerichtshof (EuGH, Rs. C-541/21)
    Der EuGH urteilte, dass Arbeitnehmer in grenzüberschreitenden Insolvenzfällen den gleichen Schutz genießen müssen wie in nationalen Verfahren. Abfindungsansprüche dürfen nicht benachteiligt werden, wenn der Arbeitgeber in einem anderen EU-Land Insolvenz anmeldet.

Fazit: Rechte der Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren

Die insolvenzrechtliche Einordnung von Abfindungsansprüchen ist für Arbeitnehmer oft enttäuschend, da sie als Insolvenzforderungen meist nur anteilig ausgezahlt werden. Dennoch bietet das Insolvenzrecht Schutzmechanismen, insbesondere wenn die Abfindung nach der Insolvenzeröffnung vereinbart wird oder auf einem Sozialplan basiert. Für Arbeitnehmer ist es entscheidend, ihre Ansprüche rechtzeitig anzumelden und sich rechtlich beraten zu lassen, um ihre Chancen auf eine Auszahlung zu maximieren.

Tenor des Beitrags:

Nochmals zur Klarstellung wird mitgeteilt, dass es sich bei dem Abfindungsanspruch des Klägers um eine Insolvenzforderung i. S. v. § 38 InsO handelt.

Für die Abgrenzung zwischen Insolvenz- und Masseforderungen ist der Zeitpunkt maßgeblich, in welchem die Forderung begründet wurde.

Als Trennlinie zwischen den Forderungen, die als Masseverbindlichkeiten vorweg zu befriedigen sind, und Insolvenzforderungen ist nach allgemeiner Ansicht, ob der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung im Augenblick der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Das ist dann der Fall, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand vor der Verfahrenseröffnung materiell-rechtlich abgeschlossen war.

Es braucht weder die Forderung selbst schon entstanden zu sein, noch ist Fälligkeit erforderlich; notwendig ist nur, dass der „Schuldrechtsorganismus“, der die Grundlage des Anspruchs darstellt, besteht (MüKo-InsO/Ehricke § 38 Rdnr. 16 m. N. a. d. Rspr.). Bei Insolvenzforderungen handelt es sich daher um Ansprüche, deren Grund schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht erst durch eine Handlung des Insolvenzverwalters gelegt worden ist.

Auch bei Abfindungsforderungen kommt es daher nicht auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung, sondern auf den Zeitpunkt an, in welchem der Rechtsgrund ihrer Entstehung gelegt wurde (BAG v. 27.04.2006 – 6 AZR 364/05 – AP Nr. 3 zu § 38 InsO).

Bei Anwendung dieser Grundsätze stellt ein Abfindungsanspruch nach § 10 KSchG eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar, wenn das Auflösungsurteil auf einer unwirksamen Kündigung des Insolvenzverwalters beruht.

Wurde das Arbeitsverhältnis hingegen noch vom Insolvenzschuldner selbst gekündigt, so handelt es sich auch bei einer erst nach Verfahrenseröffnung vom Arbeitsgericht durch Urteil dem Arbeitnehmer zugesprochenen Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG nur um eine einfache Insolvenzforderung (Müko-InsO/Hefermehl § 55 Rdnr. 189 m. w. N.; APS/Biebl KSchG § 10 Rdnr. 48 f). Dies muss erst recht gelten, wenn auch der Auflösungsantrag nach § 9 KSchG.

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