Das Landgericht Berlin hat am 8. November 2024 eine richtungsweisende Entscheidung getroffen, indem es eine 42-jährige Berlinerin wegen der Verbreitung von Kennzeichen terroristischer Organisationen nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) und wegen der Verbreitung von Propagandamitteln terroristischer Organisationen nach § 86 Abs. 2 StGB verurteilte. Diese Verurteilung basiert darauf, dass die Beschuldigte im November und Dezember 2023 auf Instagram die Parole einer terroristischen Organisation verbreitete und das Foto eines Sprechers der Quassam-Brigaden der Hamas mit positiven Kommentaren und Emojis versah.
Dieses Urteil ist ein bedeutender Schritt in der Strafrechtsprechung, da eine große Strafkammer erstmals bestimmte Äußerungen und Symbole eindeutig als Kennzeichen der Hamas einordnete. Da das Urteil jetzt dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorliegt, steht eine wegweisende Entscheidung im Hinblick auf Meinungsfreiheit und die Interpretation von Äußerungsdelikten bevor.
Hintergrund: Meinungsfreiheit und Volksverhetzung
Im Vorfeld der jüngsten Ereignisse wurde in Deutschland vermehrt darüber diskutiert, ob und inwiefern Äußerungen, die die Aktivitäten der Hamas befürworten, strafrechtlich geahndet werden können. Bis zum 7. Oktober 2023 lag der Fokus auf einer möglichen Strafbarkeit wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB), wobei die juristische Literatur dies überwiegend ablehnte. Doch nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober rückte die Billigung von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) verstärkt in den Blickpunkt.
Ein Beispiel für die Anwendung dieser Vorschrift bot ein Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten: Eine Frau hatte vier Tage nach dem Angriff auf Israel vor einer Schule in Berlin die Parole „From the River to the Sea“ skandiert. Das Gericht befand, dass angesichts der zeitlichen Nähe zum Terrorangriff keine gewaltfreie Interpretation dieser Parole möglich sei. Eine solche Parole könnte, abhängig vom Kontext, als Aufforderung zur Gleichbehandlung angesehen werden. Hier jedoch ließ der Kontext laut Gericht keinen Interpretationsspielraum, um sie als friedliche Meinungsäußerung zu werten.
Meinungsfreiheit und Äußerungsdelikte: Maßstab des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf Meinungsäußerungen Maßstäbe entwickelt, um die Grenze zwischen zulässiger Meinungsfreiheit und strafbaren Äußerungen zu wahren. Zentral ist hierbei die Frage, ob eine Äußerung objektiv auch eine harmlose Interpretation zulässt. Wenn dies nicht völlig abwegig ist, darf eine solche Äußerung nicht ohne Weiteres als strafbare Volksverhetzung oder Billigung von Straftaten gewertet werden. Diese Vorgaben, die sich aus dem Grundgesetz ableiten, gelten für alle Äußerungsdelikte, auch wenn dies nicht in allen Vorschriften gleichermaßen deutlich zum Ausdruck kommt.
Die besondere Problematik bei den §§ 86 und 86a StGB
Die §§ 86 und 86a StGB stellen das Verwenden und Verbreiten von Kennzeichen und Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen unter Strafe. Anders als bei den Straftatbeständen der Volksverhetzung oder der Billigung von Straftaten scheint es bei diesen Vorschriften auf den ersten Blick weniger um den Kontext und die Intention der Äußerung zu gehen. So reicht das bloße Verwenden eines Symbols – wie etwa eines Hakenkreuzes – für eine Strafbarkeit aus, da das Symbol unmittelbar mit einer verfassungswidrigen Organisation assoziiert wird.
Im vorliegenden Fall könnte das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob und in welchem Umfang auch bei diesen Straftatbeständen eine differenzierte Betrachtung nötig ist. Ein zentraler Aspekt wird sein, ob die strafrechtliche Verurteilung allein aufgrund des Symbols oder der Parole gerechtfertigt war oder ob das Gericht hätte prüfen müssen, ob die Angeklagte tatsächlich die Ziele der Hamas unterstützt oder lediglich eine bestimmte Meinung äußern wollte.
Fazit: Wegweisende Entscheidung über die Grenzen der Meinungsfreiheit
Das Urteil des Landgerichts Berlin stellt nicht nur eine strenge Auslegung der §§ 86 und 86a StGB dar, sondern auch eine Herausforderung für die Meinungsfreiheit. Die bevorstehende Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht wird klären, wie weit die Meinungsfreiheit reicht und in welchem Umfang Symbole und Parolen eine strafrechtliche Bedeutung haben, unabhängig von der Absicht des Äußernden. Dies könnte grundlegende Auswirkungen auf die Interpretation und Handhabung von Äußerungsdelikten in Deutschland haben.