Die strafbefreie Selbstanzeige ist im Steuerrecht ein Instrument, das Steuerhinterziehern die Möglichkeit bietet, einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, indem sie ihre Verfehlungen eigenständig gegenüber dem Finanzamt offenlegen und die hinterzogenen Steuern nachzahlen. In diesem Blogbeitrag wird die Begrifflichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige erklärt und detailliert auf die Voraussetzungen sowie einschlägige Urteile eingegangen.
1. Was ist eine strafbefreiende Selbstanzeige?
Die strafbefreie Selbstanzeige ist im deutschen Steuerrecht in § 371 der Abgabenordnung (AO) geregelt. Sie ermöglicht es Steuerpflichtigen, eine strafrechtliche Verfolgung wegen Steuerhinterziehung zu vermeiden, indem sie ihre steuerrechtlichen Verfehlungen freiwillig offenlegen, bevor die Tat entdeckt wurde. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Selbstanzeige vollständig und rechtzeitig erfolgt und die hinterzogenen Steuern fristgerecht nachgezahlt werden.
Wichtig: Die strafbefreie Wirkung greift nur bei Steuerhinterziehung, nicht jedoch bei anderen Straftaten wie Urkundenfälschung oder bei besonders schweren Fällen von Steuerhinterziehung, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden.
2. Voraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige
Damit eine strafbefreie Selbstanzeige wirksam ist und die Straffreiheit erlangt werden kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:
a) Vollständigkeit der Angaben (§ 371 Abs. 1 AO)
Eine Selbstanzeige muss alle unrichtigen, unvollständigen oder unterlassenen Angaben zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart umfassen. Das bedeutet, dass der Steuerpflichtige nicht selektiv nur einzelne Fehler offenlegen darf, sondern dass sämtliche Steuerverfehlungen für den betreffenden Zeitraum vollständig offengelegt werden müssen. Diese Offenlegungspflicht umfasst sämtliche Steuerarten, bei denen eine Verfehlung vorliegt.
b) Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige (§ 371 Abs. 2 AO)
Die Selbstanzeige muss vor Eintritt einer Sperrwirkung erfolgen. Eine solche Sperrwirkung tritt ein, wenn:
- Eine Prüfungsanordnung ergangen ist : Sobald das Finanzamt oder eine andere Behörde eine Betriebsprüfung oder Außenprüfung ankündigt, ist eine strafbefreiende Selbstanzeige in Bezug auf die Prüfungszeiträume nicht mehr möglich.
- Die Steuerhinterziehung wurde entdeckt : Wurde die Tat bereits entdeckt oder liegt der Steuerhinterziehung ein Strafverfahren zugrunde, kann keine strafbefreie Selbstanzeige mehr eingereicht werden.
- Eine Prüfungsmaßnahme begonnen hat : Der Beginn einer Betriebsprüfung oder einer Steuerfahndungsmaßnahme schließt die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige aus.
c) Nachzahlung der hinterzogenen Steuern (§ 371 Abs. 3 AO)
Um von einer Strafverfolgung befreit zu werden, müssen die Steuerpflichtigen die hinterzogenen Steuern fristgerecht nachzahlen. Hierzu zählen nicht nur die Steuern selbst, sondern auch Zinsen nach § 235 AO. Die Nachzahlung muss vollständig und innerhalb der vom Finanzamt gesetzten Frist erfolgen, um die Straffreiheit zu erlangen.
d) Begrenzung bei hohen Hinterziehungsbeträgen (§ 398a AO)
Seit einer Änderung des Steuerrechts 2011 greift die strafbefreiende Selbstanzeige bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung nicht mehr ohne weitere. Bei einer Steuerhinterziehung von mehr als 25.000 Euro pro Steuerart und Jahr ist zusätzlich eine Zahlung eines Strafzuschlags erforderlich. Dieser beträgt 10 % der hinterzogenen Summe, wenn die hinterzogenen Beträge zwischen 25.000 Euro und 100.000 Euro liegen, und 15 % bei Beträgen über 100.000 Euro.
3. Ausschlussgründe für die strafbefreiende Selbstanzeige
Es gibt verschiedene Gründe, warum eine strafbefreie Selbstanzeige ausgeschlossen sein kann:
- Bereits laufende Ermittlungen : Ist gegen den Steuerpflichtigen ein Strafverfahren eröffnet oder eine Steuerfahndung bereits im Gange, kann eine Selbstanzeige nicht mehr zur Straffreiheit führen.
- Teilselbstanzeigen : Wer nur unvollständige Angaben macht und nicht sämtliche Steuerstraftaten offenlegt, unterstützt nicht von der strafbefreienden Wirkung.
- Wiederholte Selbstanzeigen : Eine erneute Selbstanzeige bezüglich derselben Tat oder Steuerart ist in der Regel nicht möglich.
4. Rechtsprechung zur strafbefreienden Selbstanzeige
Die Gerichte haben in den letzten Jahren zahlreiche Urteile zur strafbefreienden Selbstanzeige gefällt, die die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen weiter präzisieren.
a) BGH, Urteil vom 20.05.2010 – 1 StR 577/09
In diesem Grundsatzurteil stellte der Bundesgerichtshof klar, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige nur dann wirksam ist, wenn die Angaben vollständig sind. Der BGH betont, dass es nicht ausreicht, nur einzelne Steuerstraftaten oder Jahre zu offenbaren. Die Selbstanzeige muss alle unverjährten Verfehlungen umfassen, um zur Straffreiheit zu führen.
b) BFH, Urteil vom 10.02.2015 – IX R 31/13
Der Bundesfinanzhof hat in diesem Urteil klargestellt, dass eine Selbstanzeige unwirksam ist, wenn sie nicht vor dem Eintreten der Sperrwirkung (z. B. durch die Einleitung einer Steuerprüfung) eingereicht wird. Der Steuerpflichtige, der von einer bevorstehenden Betriebsprüfung Kenntnis hatte und dennoch versuchte, eine Selbstanzeige einzureichen, konnte sich nicht auf die strafbefreiende Wirkung berufen.
c) BGH, Beschluss vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16
In diesem Beschluss stellte der BGH klar, dass auch die bloße Annahme einer neuen Entdeckung durch das Finanzamt nicht ausreicht, um die strafbefreiende Selbstanzeige zu verhindern. Erst konkrete Ermittlungsmaßnahmen, wie die Anordnung einer Steuerprüfung oder die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens, schließen die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige aus.
5. Fazit: Selbstanzeige als letzter Ausweg – aber mit Vorsicht
Die strafbefreiende Selbstanzeige bietet eine Möglichkeit, Steuerhinterziehern die Chance zu geben, straffrei zu bleiben, wenn sie ihre Verfehlungen vollständig und rechtzeitig offenlegen. Sie stellt jedoch keinen Freibrief dar und muss mit größter Sorgfalt eingereicht werden. Eine fehlerhafte oder unvollständige Selbstanzeige kann schnell im Gegenteil umschlagen und zur strafrechtlichen Verfolgung führen.
Daher sollten sich Steuerpflichtige, die eine Selbstanzeige in Betracht ziehen, unbedingt rechtlich beraten lassen. Der Erfolg der Selbstanzeige hängt entscheidend davon ab, dass alle formalen und materiellen Voraussetzungen eingehalten werden. Nur so kann das Ziel der Straffreiheit erreicht werden.