Dienstag, Oktober 22, 2024

Zu Löschpflichten auf Portalen – Fall Renate Künast gegen Facebook

Das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. Januar 2024 (Az. 16 U 65/22) bringt wichtige Neuerungen in Bezug auf die Löschpflichten von Plattformbetreibern wie Meta (Facebook) mit sich. Renate Künast, Politikerin der Grünen, hatte gegen ein fälschlich ihr zugeschriebenes Zitat geklagt, das in einem Meme verbreitet wurde. Das Zitat lautete: „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!“ – eine Aussage, die Künast jedoch nie gekauft hatte. Das Gericht befürwortet von Künast und stellt umfassende Verpflichtungen für Plattformbetreiber auf, wenn es um die Löschung von rechtswidrigen Inhalten geht.

Das Urteil: Meta muss kerngleiche Inhalte entfernen

Das OLG Frankfurt am Main entschied, dass Meta nicht nur das spezifisch rechtswidrige Meme entfernen muss, sondern auch sinngleiche oder kerngleiche Inhalte, die denselben rechtswidrigen Kern transportieren. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Inhalte automatisiert oder manuell erkannt werden. Entscheidend ist, dass Meta von der Rechtsverletzung Kenntnis erlangt hat und ab diesem Zeitpunkt aktiv alle vergleichbaren Inhalte gelöscht werden müssen.

Das Gericht stellte klar, dass die Rechte der Klägerin, insbesondere ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht, durch die falsche Behauptung verletzt wurden. Diese Rechte sind gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) besonders geschützt. Der Unterlassungsanspruch der Klägerin war daher begründet.

Leitsätze des Urteils: Ein Überblick

Das Urteil setzt wesentliche Leitsätze zur Löschpflicht und Störerhaftung im digitalen Raum:

  1. Löschpflicht bei Kenntnis : Plattformbetreiber wie Meta sind nicht nur zur Löschung konkret gemeldeter Inhalte verpflichtet, sondern auch zur Entfernung sinngleicher oder kerngleicher Inhalte. Diese Pflicht entsteht, sobald der Betreiber von der Rechtsverletzung erfährt, und besteht unabhängig davon, ob die Identifizierung dieser Inhalte durch automatisierte Systeme oder eine manuelle Überprüfung erfolgt.
  2. Rechtswidriger Eingriff in Persönlichkeitsrechte : Das falsche Zitat stellt einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin dar. Dieser Eingriff verletzt sowohl die Menschenwürde als auch das Recht auf Selbstbestimmung der betroffenen Person und ist durch das Grundgesetz sowie die EMRK geschützt.
  3. Prüf- und Verhaltenspflicht : Die Plattformbetreiber sind nicht nur verpflichtet, einmal gemeldete Inhalte zu entfernen, sondern müssen auch ähnliche Inhalte eigenständig identifizieren und löschen, ohne dass der Betroffene erneut eine Meldung einreichen muss.
  4. Keine allgemeine Überwachungspflicht : Plattformbetreiber sind nach der E-Commerce-Richtlinie nicht verpflichtet, die Inhalte ihrer Plattformen aktiv zu überwachen oder Nachforschungen anzustellen. Sobald jedoch eine konkrete Rechtsverletzung bekannt wird, besteht die Verpflichtung zur Beseitigung der rechtswidrigen Inhalte.

Aktuelle rechtliche Vorgaben und Entwicklungen im Hinblick auf Löschpflichten

Das Urteil des OLG Frankfurt steht im Einklang mit der europäischen und nationalen Rechtsprechung, die zunehmend den Fokus auf die Verantwortung von Plattformbetreibern im Umgang mit rechtswidrigen Inhalten legt. Insbesondere durch den Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union wurden neue Vorgaben eingeführt, die die Pflichten von Online-Plattformen im Umgang mit illegalen Inhalten präzisieren.

  • Digital Services Act (DSA) : Seit Inkrafttreten des DSA im Jahr 2023 haben Plattformbetreiber eine noch stärkere Verpflichtung, rechtswidrige Inhalte nach Kenntnisnahme zu umgehen. Sie müssen Transparenz über ihre Maßnahmen gegen illegale Inhalte vorlegen und proaktiv systematisch gegen Rechtsverletzungen vorgehen.
  • Störerhaftung und Prüfpflichten : Das Urteil knüpft an die bestehende Rechtsprechung zur Störerhaftung an, wie sie in der Vergangenheit vom Bundesgerichtshof (BGH) in Fällen wie „Haftung für Links“ und „Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Dritte“ entwickelt wurde. Plattformbetreiber können als „Störer“ in Anspruch genommen werden, wenn sie in Kenntnis der Rechtsverletzung nicht tätig werden. Das OLG Frankfurt baut auf dieser Rechtsprechung auf, indem es betont, dass die Pflicht zur Entfernung auch für kerngleiche Inhalte besteht.

Begründung des Urteils: Verpflichtung zur Löschung sinngleicher Inhalte

Das OLG Frankfurt begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass die Persönlichkeitsrechte der Klägerin durch das falsche Zitat verletzt wurden. Das Meme war geeignet, das öffentliche Ansehen der Klägerin zu schädigen, und verstieß damit gegen ihr durch Art. 2 Abs. 1 ich. V. m. Kunst. 1 Abs. 1 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Persönlichkeitsrecht.

Darüber hinaus betont das Gericht die Prüfpflicht der Plattformbetreiber. Wenn eine konkrete Rechtsverletzung vorliegt, besteht die Pflicht, nicht nur diesen spezifischen Inhalt zu entfernen, sondern auch vergleichbare Inhalte zu überprüfen und zu löschen. Das Gericht stützt sich dabei auf die Störerhaftung nach § 1004 BGB analog in Verbindung mit § 823 BGB .

Die Pflicht zur Überprüfung kerngleicher Inhalte kann dabei nicht durch den Einsatz von Algorithmen vollständig delegiert werden. Das Gericht wies darauf hin, dass eine Kombination aus automatisierter und manueller Überprüfung notwendig sei, um sicherzustellen, dass ähnliche rechtswidrige Inhalte ebenfalls gelöscht werden.

Keine allgemeine Überwachungspflicht, sondern konkrete Handlungspflicht bei Kenntnis

Ein wesentlicher Punkt in der Argumentation des OLG Frankfurt war die Abgrenzung zwischen der Löschpflicht nach konkreter Kenntnis und einer allgemeinen Überwachungspflicht. Während die E-Commerce-Richtlinie keine allgemeine Überwachungspflicht für Plattformbetreiber vorsieht, verpflichtet sie diese, bei Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten zu handeln. Im Herbst wurde Künast bemängelt, dass Meta erst nach wiederholten Hinweisen tätig wurde, was das Gericht als unzureichend erachtete.

Aktuelle Rechtsprechung und Bedeutung des Urteils

Das Urteil des OLG Frankfurt steht in einer Reihe mit anderen Entscheidungen, die den Umgang mit rechtswidrigen Inhalten auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube betreffen. Die Entscheidung zeigt, dass Gerichte zunehmend fordern, dass Plattformbetreiber bei der Entfernung rechtswidriger Inhalte proaktiver vorgehen müssen. Das OLG Frankfurt hat zudem klargestellt, dass die Verantwortung für die Löschung von Inhalten nicht durch den bloßen Einsatz von Algorithmen delegiert werden kann, sondern dass Plattformen auch menschliche Überprüfungen einsetzen müssen, um ihrer Löschpflicht nachzukommen.

Fazit: Verschärfte Löschpflichten für Plattformbetreiber

Das Urteil des OLG Frankfurt am Main betont die gestiegene Verantwortung von Plattformbetreibern im Umgang mit rechtswidrigen Inhalten. Durch die Verpflichtung zur Löschung sinngleicher Inhalte wird die Prüfpflicht für Plattformen erweitert. Das Urteil hebt hervor, dass Plattformen wie Facebook nicht nur auf konkrete Hinweise reagieren müssen, sondern auch ähnliche rechtswidrige Inhalte eigenständig identifizieren und entfernen müssen. Dies stellt eine wichtige Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung zur Störerhaftung und Löschpflicht dar und unterstreicht die Bedeutung des Schutzes von Persönlichkeitsrechten im digitalen Rau

Schlagzeilen der Woche

Die strafbefreie Selbstanzeige im Steuerrecht – Chancen, Risiken und Voraussetzungen

Die strafbefreie Selbstanzeige ist im Steuerrecht ein Instrument, das Steuerhinterziehern die Möglichkeit bietet, einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, indem sie ihre Verfehlungen eigenständig gegenüber dem Finanzamt offenlegen und die hinterzogenen Steuern nachzahlen. In diesem Blogbeitrag wird die Begrifflichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige erklärt und detailliert auf die Voraussetzungen sowie einschlägige Urteile eingegangen.

Überlastung der Staatsanwaltschaften – Ein Plädoyer für den sinnvollen Einsatz von Ressourcen

Die Staatsanwaltschaften in Deutschland sehen sich zunehmend mit einem Übermaß an Arbeit konfrontiert. Strafanzeigen gegen Straftaten wie Beleidigungen und Bedrohungen im Netz nehmen rapide zu, doch in vielen Fällen steht die Frage im Raum, ob alle diese Anzeigen tatsächlich das Eingreifen der ohnehin überlasteten Justiz erfordern. Ein kürzlich vor dem Amtsgericht Düsseldorf verhandelter Fall wirft genau diese Frage auf und zeigt die Notwendigkeit eines überlegten Umgangs mit den knappen Ressourcen der Justiz.

Arbeitsrechtlicher Abfindungsanspruch – Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung?

In der Praxis stellt sich häufig die Frage, ob ein arbeitsrechtlicher Abfindungsanspruch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung zu behandeln ist. Diese Unterscheidung ist von erheblicher Bedeutung, da Masseverbindlichkeiten vorrangig aus der Insolvenzmasse befriedigt werden, während Insolvenzforderungen in die Insolvenzquote fallen und daher oft nur anteilig beglichen werden.

Bargeld abschaffen? – Ein kritischer Beitrag zu den Vor- und Nachteilen der Bargeldabschaffung

Die Diskussion um die Abschaffung des Bargelds hat in den letzten Jahren an Intensität gewonnen. Befürworter eines bargeldlosen Zeitalters verweisen auf die Effizienz, die Sicherheit und die Modernität digitaler Zahlungsformen. Gleichzeitig gibt es viele kritische Stimmen, die vor den Risiken einer solchen Entwicklung warnen. Die Frage, ob eine Welt ohne Bargeld sinnvoll und umsetzbar ist, berührt grundlegende Themen wie Freiheit, Kontrolle und die Zukunft des Finanzwesens. Was sind die Hauptargumente auf beiden Seiten? Und welche Maßnahmen wurden bereits von der Regierung ergriffen, um den Bargeldgebrauch zu minimieren?

Fehlende Stellen bei Staatsanwaltschaft und Strafrichtern – Ist der Rechtsstaat in Gefahr?

Der Mangel an Personal in den deutschen Justizbehörden ist kein neues Phänomen, doch die Situation hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Sowohl in der Staatsanwaltschaft als auch bei den Strafgerichten fehlen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in erheblichem Umfang. Diese persönlichen Lücken haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats, die immer zur Diskussion steht.

Neueste Artikel im Überblick

Verpasste Frist zur Erbausschlagung – Vorgehensweise und Heilungsmöglichkeiten

Wenn ein Erbe die sechswöchige Frist zur Erbausschlagung gemäß § 1944 BGB versäumt, gilt die Erbschaft grundsätzlich als angenommen. Dies bedeutet, dass der Erbe alle Rechte und Pflichten des Erblassers übernimmt, einschließlich der unbeschränkten Haftung für dessen Lizenzen. Dennoch gibt es unter bestimmten Voraussetzungen Möglichkeiten, diesen Fehler zu heilen und die Erbschaft nachträglich abzulehnen.

Erbenhaftung – Grundlagen, Haftungsbeschränkungen und aktuelle Rechtsprechung

Die Erbenhaftung ist ein zentrales Thema des Erbrechts, das für Erben und potenzielle Erben weitreichende Folgen haben kann. In diesem Beitrag werden die rechtlichen Grundlagen der Erbenhaftung, Möglichkeiten zur Haftungsbeschränkung sowie aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung eingehend behandelt.

Einstweilige Verfügung als Mittel des Presserechts – Ein Überblick und detaillierte Betrachtung

Die einstweilige Verfügung ist ein zentrales Instrument des Presserechts, das regelmäßig verwendet wird, um rasch gegen rechtswidrige Veröffentlichungen vorzugehen. Sie dienen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts und anderer Rechtsgüter, indem sie eine schnelle gerichtliche Entscheidung herbeiführt, ohne dass ein langwieriges Hauptsacheverfahren abgewartet werden muss. Der folgende Beitrag gibt einen detaillierten Überblick über die Voraussetzungen, den Ablauf und die Bedeutung der einstweiligen Verfügung im Presserecht.

Was verstehen wir eigentlich unter der Kunstfreiheit nach Art. 5 GG?

Artikel 5 Grundgesetz – Kunstfreiheit (Art. 5 GG) Artikel 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) garantiert die Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit, Rundfunkfreiheit, und insbesondere die Kunstfreiheit. Die Kunstfreiheit wird durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt und umfasst sowohl die Freiheit des Schaffens als auch die Freiheit der Verbreitung von Kunst.

Die strafbefreie Selbstanzeige im Steuerrecht – Chancen, Risiken und Voraussetzungen

Die strafbefreie Selbstanzeige ist im Steuerrecht ein Instrument, das Steuerhinterziehern die Möglichkeit bietet, einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, indem sie ihre Verfehlungen eigenständig gegenüber dem Finanzamt offenlegen und die hinterzogenen Steuern nachzahlen. In diesem Blogbeitrag wird die Begrifflichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige erklärt und detailliert auf die Voraussetzungen sowie einschlägige Urteile eingegangen.

Mietminderung wegen Schimmelbefall – Ihre Rechte als Mieter und das richtige Vorgehen

Schimmelbefall in der Wohnung ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch erhebliche gesundheitliche Schäden verursachen. Für Mieter stellt sich in solchen Fällen oft die Frage: Welche Rechte habe ich, und wie kann ich eine Mietminderung durchsetzen? Dieser Blogbeitrag gibt einen umfassenden Überblick über das richtige Vorgehen, die rechtlichen Grundlagen und die Höhe der Mietminderung basierend auf der einschlägigen Rechtsprechung.

Überlastung der Staatsanwaltschaften – Ein Plädoyer für den sinnvollen Einsatz von Ressourcen

Die Staatsanwaltschaften in Deutschland sehen sich zunehmend mit einem Übermaß an Arbeit konfrontiert. Strafanzeigen gegen Straftaten wie Beleidigungen und Bedrohungen im Netz nehmen rapide zu, doch in vielen Fällen steht die Frage im Raum, ob alle diese Anzeigen tatsächlich das Eingreifen der ohnehin überlasteten Justiz erfordern. Ein kürzlich vor dem Amtsgericht Düsseldorf verhandelter Fall wirft genau diese Frage auf und zeigt die Notwendigkeit eines überlegten Umgangs mit den knappen Ressourcen der Justiz.

Missbrauch der Eigenbedarfskündigung – Rechte und Schadensersatzansprüche für Betroffene

Die Eigenbedarfskündigung ist ein häufig eingesetztes Mittel von Vermietern, um Mietverhältnisse zu beenden und selbst oder für nahe Angehörige Wohnraum zu nutzen. Doch immer wieder wird dieses Instrument missbraucht, um Mieter aus der Wohnung zu drängen, ohne dass ein tatsächlicher Eigenbedarf besteht. In solchen Fällen stehen den Betroffenen umfangreiche rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, um sich gegen eine unrechtmäßige Kündigung zu wehren und ggf. Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
spot_img

Meistgelesene Artikel

Alle unsere Kategorien im Überblick

spot_imgspot_img