In der aktuellen Debatte über die Reform des Jugendstrafrechts wird die Absenkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre immer wieder thematisiert.

Derzeit liegt die Strafmündigkeit in Deutschland bei 14 Jahren (§ 19 StGB), was bedeutet, dass Kinder unter diesem Alter strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Die Forderung, das Alter auf 12 Jahre zu senken, wird von einigen Politikern und Rechtsexperten als Reaktion auf steigende Jugendkriminalität ins Feld geführt.

Doch was sind die rechtlichen, sozialen und ethischen Implikationen einer solchen Reform?

1. Aktuelle Rechtslage und ihre Begründung

In Deutschland gilt das Prinzip der Strafmündigkeit ab 14 Jahren, basierend auf der Annahme, dass Kinder unter diesem Alter nicht die notwendige Einsichtsfähigkeit besitzen, um das Unrecht ihrer Taten vollständig zu verstehen.

Das Strafrecht geht davon aus, dass jüngere Kinder noch in der Entwicklung sind und dass ihr Verhalten stark durch ihr Umfeld und äußere Einflüsse geprägt wird. Die Jugendhilfe und Erziehungsmaßnahmen sollen in diesen Fällen im Vordergrund stehen, um auf die Entwicklung der Kinder positiv einzuwirken.

2. Argumente für eine Absenkung auf 12 Jahre

Befürworter der Absenkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre argumentieren, dass die Realität der Jugendkriminalität sich verändert hat.

Sie weisen darauf hin, dass Kinder heute durch den Zugang zu sozialen Medien und digitaler Technologie schneller reifen und möglicherweise früher in der Lage sind, strafrechtlich relevantes Verhalten zu verstehen und zu planen.

Vorfälle schwerer Kriminalität unter 14-Jährigen, wie etwa Gewalttaten oder Vergehen im Kontext von Jugendbanden, haben in den letzten Jahren die Forderung laut werden lassen, jüngere Straftäter zur Verantwortung zu ziehen.

Ein oft zitierter Fall ist der der Mordkommission Solingen im Jahr 2023 , bei dem ein 12-jähriges Mädchen maßgeblich an der Tötung einer 12-jährigen Mitschülerin beteiligt war. Da die Täterin nicht strafmündig war, konnten gegen sie keine strafrechtlichen Maßnahmen ergriffen werden. Solche Fälle untermauern die Argumentation, dass auch jüngere Täter Verantwortung für ihre Taten übernehmen sollten.

Zusätzlich verweisen Befürworter darauf, dass andere europäische Länder bereits niedrigere Altersgrenzen haben. England und Wales haben die Strafmündigkeit auf 10 Jahre festgelegt, in Schottland liegt sie bei 12 Jahren. Auch Länder wie die Niederlande und die Schweiz haben niedrigere Altersgrenzen als Deutschland, was die Frage aufwirft, ob eine Anpassung notwendig ist, um international mithalten zu können.

3. Kritik und Bedenken gegen die Absenkung

Kritiker der Absenkung warnen davor, dass eine solche Maßnahme weitreichende negative Folgen haben könnte, für die betroffenen Kinder als auch sowohl für die Gesellschaft als Ganzes. Sie argumentieren, dass das Strafrecht kein geeignetes Mittel ist, um auf die Fehlentwicklungen von Kindern einzuwirken. Stattdessen sollte das Augenmerk auf präventive Maßnahmen und erzieherische Interventionen gerichtet werden.

a) Entwicklungspsychologische Perspektive

Studien zeigen, dass Kinder im Alter von 12 Jahren oft noch nicht die kognitive Reife besitzen, um die Konsequenzen ihres Handelns vollständig zu erfassen. Die Entwicklung von Empathie, moralischem Urteilsvermögen und Selbstkontrolle ist in diesem Alter noch nicht abgeschlossen. Das Strafrecht, so die Kritiker, greift zu kurz, wenn es versucht, pädagogische und psychologische Probleme mit strafrechtlichen Sanktionen zu lösen.

b) Gefahr der Stigmatisierung

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Stigmatisierung . Kinder, die bereits im Alter von 12 Jahren strafrechtlich verurteilt wurden, könnten von der Gesellschaft als „Kriminelle“ abgestempelt werden, was ihre soziale und psychische Entwicklung nachhaltig beeinträchtigen könnte. Solche späteren Verurteilungen könnten zudem einen gegenteiligen Effekt haben und die Kinder eher in die Kriminalität drängen, als sie davon abzuhalten.

c) Soziale Ungerechtigkeit

Kritiker betonen auch, dass eine Absenkung der Strafmündigkeit vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen treffen würde. Häufig sind es gerade diese Kinder, die in schwierigen familiären und sozialen Situationen aufwachsen und eher in kriminelle Strukturen hineingezogen werden. Hier sollte, so der Kritiker, nicht der Strafapparat greifen, sondern verstärkte Hilfen in Form von Schulsozialarbeit, psychologischer Betreuung und fortlaufenden Präventionsprogrammen.

4. Verfassungsrechtliche Aspekte

Eine Absenkung der Strafmündigkeit müsste auch verfassungsrechtlich geprüft werden. Artikel 1 des Grundgesetzes schützt die Würde des Menschen, und dieser Grundsatz gilt in besonderem Maße auch für Kinder. Die Frage wäre, ob eine strafrechtliche Verfolgung von 12-Jährigen mit der Menschenwürde und dem Kindeswohl vereinbar ist. Zudem müsste geprüft werden, inwiefern das Jugendgerichtsgesetz (JGG) angepasst werden müsste, um den Schutz und die Erziehung jüngerer Straftätern weiterhin zu gewährleisten.

5. Internationale Perspektive

Ein internationaler Vergleich zeigt, dass es unterschiedliche Ansätze gibt, wie Länder mit der Frage der Strafmündigkeit umgehen:

In England und Wales liegt die Strafmündigkeit bei 10 Jahren. Die Ansicht sieht jedoch vor, dass bei jüngeren Tätern besondere Schutzmechanismen greifen, um sicherzustellen, dass die Verfahren kindgerecht und rehabilitativ gestaltet werden.

In Schottland wurde die Strafmündigkeit 2019 von 8 auf 12 Jahre angehoben, da man erkannte, dass jüngere Kinder noch nicht die notwendige Reife haben, um strafrechtlich verantwortlich gemacht zu werden.

Schweden und Finnland haben die Strafmündigkeit seit 15 Jahren, was zeigt, dass viele skandinavische Länder eher auf erzieherische Maßnahmen setzen und das Strafrecht für jüngere Täter als ungeeignet betrachten.

Fazit:

Die Forderung nach einer Absenkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre wirft viele ethische, rechtliche und soziale Fragen auf.

Während Befürworter auf eine Zunahme schwerer Jugendkriminalität und internationale Beispiele verweisen, warnen Kritiker vor den negativen Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder und die gesellschaftlichen Folgen.

Eine Reform sollte daher gut durchdacht sein und sowohl die Bedürfnisse der Opfer als auch die besonderen Schutzbedürfnisse von Kindern berücksichtigen. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, einen angemessenen Ausgleich zwischen präventiven Maßnahmen, Erziehung und Strafverfolgung zu finden.

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