Das Verbraucherinsolvenzverfahren, geregelt in den §§ 305 ff. der Insolvenzordnung (InsO), bietet überschuldeten Privatpersonen die Möglichkeit, sich von ihren Schulden zu befreien und einen wirtschaftlichen Neuanfang zu machen. Es handelt sich um ein spezielles Verfahren für natürliche Personen, die keine selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeiten ausüben oder ausgeübt haben. Im Jahr 2020 wurde eine wesentliche Reform des Insolvenzrechts vorgenommen, die die Dauer des Verfahrens auf drei Jahre verkürzt hat. In diesem Beitrag beleuchten wir die Voraussetzungen, den Ablauf und die rechtlichen Neuerungen.
1. Zweck des Verbraucherinsolvenzverfahrens
Das Verbraucherinsolvenzverfahren hat den Zweck, überschuldeten Privatpersonen eine Schuldenbefreiung zu ermöglichen, wenn sie ihre Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen können. Es soll den Betroffenen die Chance bieten, nach einer gewissen Wohlverhaltensphase einen wirtschaftlichen Neuanfang zu machen. Am Ende des Verfahrens steht in der Regel die Restschuldbefreiung, die die noch offenen Schulden tilgt.
2. Rechtliche Voraussetzungen für das Verbraucherinsolvenzverfahren
Um ein Verbraucherinsolvenzverfahren einleiten zu können, müssen verschiedene Voraussetzungen nach den §§ 305 ff. InsO erfüllt sein. Dazu gehören:
a) Zuständigkeit
Das Verfahren ist speziell für natürliche Personen vorgesehen, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Kleinunternehmer und ehemals Selbständige können das Verfahren jedoch ebenfalls in Anspruch nehmen, wenn ihre Vermögensverhältnisse überschaubar sind (weniger als 20 Gläubiger) und keine offenen Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen (z. B. Lohnforderungen).
b) Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit
Eine grundlegende Voraussetzung ist die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, also die Tatsache, dass er seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Auch die drohende Zahlungsunfähigkeit kann ein Grund sein, ein Insolvenzverfahren zu beantragen.
c) Ein außergerichtlicher Einigungsversuch (§ 305 InsO)
Bevor ein Verbraucherinsolvenzverfahren eingeleitet werden kann, muss der Schuldner einen außergerichtlichen Einigungsversuch mit seinen Gläubigern unternehmen. Dieser Versuch wird meist mit der Unterstützung einer Schuldnerberatungsstelle oder eines Rechtsanwalts durchgeführt. Ziel ist es, eine außergerichtliche Lösung zu finden, bei der sich die Gläubiger auf einen Schuldenvergleich einigen.
Wird der Einigungsversuch scheitern, erhält der Schuldner eine Bescheinigung über den gescheiterten Versuch, die dem Insolvenzantrag beigefügt werden muss.
d) Insolvenzantrag und Eröffnungsbeschluss (§§ 306, 311 InsO)
Nach dem gescheiterten Einigungsversuch kann der Schuldner beim zuständigen Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens stellen. Der Antrag muss die Bescheinigung über den gescheiterten Einigungsversuch und ein Vermögensverzeichnis enthalten. Das Gericht prüft dann, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung vorliegen und trifft einen Eröffnungsbeschluss.
3. Verkürzung des Verfahrens auf drei Jahre
Eine der wichtigsten Neuerungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens ist die Verkürzung der Verfahrensdauer auf drei Jahre. Diese Änderung trat im Rahmen der Insolvenzrechtsreform 2020 in Kraft und gilt für alle Verfahren, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt wurden.
a) Alte Regelung: Sechs Jahre
Vor der Reform dauerte das Verbraucherinsolvenzverfahren in der Regel sechs Jahre. Während dieser Wohlverhaltensperiode mussten Schuldner bestimmte Auflagen erfüllen, wie etwa die Abtretung von pfändbaren Einkommensteilen und das Bemühen um eine Erwerbstätigkeit. Erst nach Ablauf dieser sechs Jahre konnte der Schuldner die Restschuldbefreiung erlangen.
b) Neue Regelung: Drei Jahre
Durch die Reform wurde die Dauer der Wohlverhaltensphase auf drei Jahre verkürzt, ohne dass der Schuldner besondere Bedingungen erfüllen muss. Die Verkürzung gilt uneingeschränkt für alle Schuldner, unabhängig davon, ob sie bestimmte Quoten an ihre Gläubiger zurückgezahlt haben oder nicht. Am Ende der drei Jahre erfolgt die Restschuldbefreiung, sofern keine Versagungsgründe vorliegen.
Wichtige Voraussetzung für die Verkürzung ist, dass das Verfahren ab dem 1. Oktober 2020 beantragt wurde. Für ältere Verfahren galt noch die alte Regelung mit der sechsjährigen Verfahrensdauer.
4. Ablauf des Verbraucherinsolvenzverfahrens
Das Verbraucherinsolvenzverfahren gliedert sich in mehrere Phasen:
a) Eröffnungsphase
Nach dem gescheiterten Einigungsversuch wird das Insolvenzverfahren durch den Antrag des Schuldners eröffnet. Das Insolvenzgericht bestellt einen Insolvenzverwalter, der das Vermögen des Schuldners sichert und verwertet. In dieser Phase wird geprüft, ob verwertbares Vermögen vorhanden ist, um die Gläubiger zu befriedigen.
b) Wohlverhaltensphase
Sobald das Verfahren eröffnet ist und das pfändbare Vermögen verwertet wurde, beginnt die Wohlverhaltensphase. Der Schuldner muss während dieser Phase seinen pfändbaren Teil des Einkommens an den Insolvenzverwalter abtreten und sich bemühen, einer angemessenen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zudem darf der Schuldner keine neuen Schulden machen.
c) Restschuldbefreiung
Restschuldbefreiung und die Problematik der unerlaubten Handlungen
Die Restschuldbefreiung ist das zentrale Ziel des Verbraucherinsolvenzverfahrens, da sie dem Schuldner nach Abschluss der Wohlverhaltensperiode einen Neuanfang ermöglicht. Allerdings gibt es bestimmte Schulden, die von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sind. Insbesondere Schulden, die aus unerlaubten Handlungen resultieren, können nicht von der Restschuldbefreiung umfasst werden. Diese Problematik ist im § 302 Nr. 1 InsO geregelt.
Was sind unerlaubte Handlungen?
Eine unerlaubte Handlung im Sinne der Insolvenzordnung verweist auf das Deliktsrecht, welches in den §§ 823 ff. BGB geregelt ist. Es handelt sich dabei um Verbindlichkeiten, die durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Schuldners entstanden sind. Typische unerlaubte Handlungen sind:
- Körperverletzung oder Sachbeschädigung: Wenn der Schuldner durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten Dritten einen Schaden an Gesundheit oder Eigentum zufügt.
- Betrug (§ 263 StGB): Der Schuldner hat durch Täuschung das Vermögen eines anderen geschädigt, z. B. durch Vorspiegelung falscher Tatsachen oder das Verschweigen wesentlicher Umstände.
- Diebstahl oder Unterschlagung: Wenn der Schuldner fremdes Eigentum widerrechtlich an sich nimmt oder sich aneignet.
- Beleidigung (§ 185 StGB): Auch zivilrechtliche Forderungen, die auf strafrechtlich relevanten Handlungen wie Beleidigungen beruhen, können als Forderungen aus unerlaubten Handlungen gelten.
Warum sind Forderungen aus unerlaubten Handlungen von der Restschuldbefreiung ausgenommen?
Der Zweck der Restschuldbefreiung ist es, dem redlichen Schuldner eine zweite Chance zu ermöglichen, ohne dass er für die Schulden seiner Vergangenheit lebenslang haftet. Dabei wird jedoch zwischen Schulden, die auf alltäglichen finanziellen Verpflichtungen basieren, und solchen, die durch rechtswidriges oder vorsätzliches Verhalten entstanden sind, unterschieden.
Der Gesetzgeber hat beschlossen, dass Schuldner, die durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten Dritten einen Schaden zugefügt haben, keinen Anspruch auf Schuldenvergebung für diese speziellen Forderungen haben sollen. Die moralische Verantwortung für solche Schulden wird als zu groß angesehen, um sie einfach durch eine Restschuldbefreiung zu tilgen. Dies dient auch dem Schutz der geschädigten Gläubiger, die durch das rechtswidrige Verhalten des Schuldners erhebliche Nachteile erlitten haben könnten.
Feststellung der Forderung aus unerlaubter Handlung
Damit eine Forderung von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen wird, muss sie zunächst als Forderung aus einer unerlaubten Handlung gerichtlich festgestellt werden. Der Gläubiger muss also während des Insolvenzverfahrens aktiv werden und einen entsprechenden Antrag stellen. Der Gläubiger trägt die Beweislast dafür, dass die Forderung aus einer unerlaubten Handlung resultiert.
In der Regel wird dies im Rahmen des Prüfungstermins des Insolvenzverfahrens festgelegt. Wenn der Gläubiger seine Forderung zur Insolvenztabelle anmeldet und gleichzeitig angibt, dass diese auf einer unerlaubten Handlung basiert, prüft das Insolvenzgericht diese Angabe. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Forderung tatsächlich aus einer unerlaubten Handlung stammt, wird dies entsprechend in der Insolvenztabelle vermerkt.
Folgen für den Schuldner
Wenn eine Forderung aus unerlaubter Handlung festgestellt wird, bleibt diese Verbindlichkeit trotz der Restschuldbefreiung bestehen. Der Schuldner ist auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens verpflichtet, diese Forderung zu begleichen. Er kann durch die Restschuldbefreiung lediglich von den anderen Verbindlichkeiten befreit werden, nicht jedoch von den Forderungen, die aus unerlaubten Handlungen resultieren.
Es ist also möglich, dass der Schuldner trotz der Restschuldbefreiung nach dem Insolvenzverfahren weiterhin finanzielle Verpflichtungen hat, wenn ihm unerlaubte Handlungen zur Last gelegt werden. Dies bedeutet, dass Gläubiger, deren Forderungen auf einer solchen Handlung beruhen, weiterhin Ansprüche geltend machen können und der Schuldner diese im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten zu begleichen hat.
Beispiele aus der Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 13.06.2013 – IX ZR 145/12
Leitsatz: Der Bundesgerichtshof entschied, dass eine Forderung, die auf einer bewussten Schädigung des Vermögens durch Betrug basiert, nicht von der Restschuldbefreiung erfasst wird. Der Schuldner war wegen eines Betrugs verurteilt worden, und der Gläubiger konnte die Forderung trotz der Restschuldbefreiung weiterhin einfordern.
BGH, Urteil vom 15.03.2018 – IX ZR 255/16
Leitsatz: In diesem Fall wurde entschieden, dass eine Verbindlichkeit aus einer vorsätzlichen Körperverletzung ebenfalls nicht durch die Restschuldbefreiung erfasst wird. Der Gläubiger kann seinen Schadensersatzanspruch auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens geltend machen.
Zusammenfassung
Die Restschuldbefreiung im Verbraucherinsolvenzverfahren bietet überschuldeten Privatpersonen die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs. Allerdings sind Forderungen aus unerlaubten Handlungen von dieser Befreiung ausgeschlossen, da diese auf schuldhaftem, meist vorsätzlichem Verhalten basieren. Der Gesetzgeber schützt damit die Gläubiger, die durch das rechtswidrige Verhalten des Schuldners geschädigt wurden, und stellt sicher, dass der Schuldner für solche Verbindlichkeiten weiterhin haften muss.
Für den Schuldner ist es daher entscheidend, während des Insolvenzverfahrens ehrlich und transparent zu agieren, um die Restschuldbefreiung nicht zu gefährden. Gleichzeitig müssen Gläubiger ihre Rechte im Rahmen des Verfahrens wahrnehmen und unerlaubte Handlungen entsprechend geltend machen, um sicherzustellen, dass diese Forderungen bestehen bleiben.
5. Versagung der Restschuldbefreiung
Unter bestimmten Umständen kann die Restschuldbefreiung versagt werden. Dies ist in § 290 InsO geregelt. Gründe für eine Versagung sind unter anderem:
- Vorsätzliche Verletzung der Mitwirkungspflichten des Schuldners, wie die Verschweigung von Vermögensgegenständen oder die Nichtoffenlegung von Einkommen.
- Neue Schulden während des Insolvenzverfahrens, insbesondere wenn diese vorsätzlich gemacht wurden.
- Betrügerisches Verhalten des Schuldners gegenüber den Gläubigern oder dem Insolvenzgericht.
6. Schlussfolgerung: Chancen und Pflichten im Verbraucherinsolvenzverfahren
Das Verbraucherinsolvenzverfahren bietet überschuldeten Privatpersonen die Möglichkeit, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von drei Jahren schuldenfrei zu werden und einen finanziellen Neuanfang zu machen. Die Reform, die die Verfahrensdauer von sechs auf drei Jahre verkürzt hat, stellt eine erhebliche Erleichterung für Betroffene dar. Allerdings müssen Schuldner während der Wohlverhaltensphase bestimmte Pflichten erfüllen, um die Restschuldbefreiung zu erlangen.
Für Arbeitgeber und Gläubiger ist es wichtig, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen, um angemessen auf Forderungen und Insolvenzanträge reagieren zu können. Für Schuldner ist es unerlässlich, die Bedingungen des Verfahrens zu beachten, um die angestrebte Schuldenfreiheit zu erreichen.