Donnerstag, Dezember 5, 2024

Befangenheit im Strafverfahren – Private Notizen einer Schöffin führen zur Ablehnung

Das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Gerichtsmitglieder ist ein zentraler Pfeiler der Rechtsstaatlichkeit. Schöffen, als ehrenamtliche Richter, nehmen in Strafverfahren eine wichtige Rolle ein, da sie die richterlichen Entscheidungen gemeinsam mit den Berufsrichtern treffen. Doch was passiert, wenn Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen? Dieser Artikel beleuchtet einen aktuellen Fall, in dem das Landgericht Dortmund entschied, dass eine Schöffin wegen privater Notizen während der Hauptverhandlung als befangen gilt. Gleichzeitig wird der Begriff der Befangenheit rechtlich und praktisch erläutert.

Der Fall: Private Notizen und die Besorgnis der Befangenheit

Im zugrundeliegenden Fall stellte der Angeklagte einen Befangenheitsantrag gegen eine Schöffin, da diese während der Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum private Notizen gemacht hatte. Das Landgericht Dortmund hielt den Antrag für begründet und lehnte die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit ab (Beschl. v. 08.11.2024, Az. 45 Ns 131/22).

Nach Angaben des Gerichts könnten private Notizen während einer Hauptverhandlung den Eindruck erwecken, dass die Schöffin nicht unvoreingenommen an der Sache arbeitet. Die Besorgnis der Befangenheit, so das LG Dortmund, resultiert hier aus dem Verhalten der Schöffin, da es den Anschein erweckte, sie widme sich während des Verfahrens anderen, nicht verfahrensrelevanten Angelegenheiten.

Was bedeutet Befangenheit?

Befangenheit bezeichnet die subjektive Befürchtung einer Partei, dass ein Richter oder Schöffe aufgrund bestimmter Umstände nicht unparteiisch entscheiden könnte. Wichtig dabei ist, dass es nicht um die tatsächliche Voreingenommenheit geht, sondern um die Besorgnis der Befangenheit, wie sie in § 24 StPO geregelt ist.

Gemäß § 24 Abs. 2 StPO kann ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter oder Schöffen gestellt werden, wenn „Grund zur Annahme besteht, dass eine unparteiische Entscheidung nicht gewährleistet ist.“ Entscheidend ist nicht die subjektive Überzeugung des Ablehnenden, sondern die objektive Sichtweise eines verständigen Dritten. Der Eindruck der Befangenheit genügt, selbst wenn eine tatsächliche Parteilichkeit nicht vorliegt.

Relevanz der Besorgnis der Befangenheit

Die Besorgnis der Befangenheit ist ein Schutzmechanismus, der das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und die Neutralität des Gerichts sicherstellt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z. B. BGH, Beschl. v. 02.03.2021, Az. 3 StR 24/21) reicht ein Verhalten, das Zweifel an der Unparteilichkeit begründet, für die Ablehnung aus. Es ist unerheblich, ob die Person tatsächlich voreingenommen ist – entscheidend ist allein der Eindruck, den ihr Verhalten auf einen objektiven Betrachter macht.

Die Rolle der Schöffen im Strafprozess

Schöffen nehmen als Laienrichter eine besondere Stellung ein. Sie bringen die Perspektive der Allgemeinheit in das Strafverfahren ein und sind bei der Entscheidungsfindung gleichberechtigt mit den Berufsrichtern. Aufgrund ihrer zentralen Rolle müssen sie besonders darauf achten, dass ihr Verhalten während der Verhandlung keine Zweifel an ihrer Neutralität aufkommen lässt.

Private Notizen während der Verhandlung können aus mehreren Gründen problematisch sein:

  • Sie erwecken den Anschein, dass der Schöffe nicht aufmerksam am Verfahren teilnimmt.
  • Sie können den Eindruck vermitteln, dass der Schöffe eigene, unzulässige Kriterien bei der Entscheidungsfindung anlegt.
  • Sie lassen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Aufgabe aufkommen.

Entscheidung des LG Dortmund: Begründung und Folgen

Das LG Dortmund sah die Besorgnis der Befangenheit in diesem Fall als gegeben an. Das private Notieren während der Verhandlung wurde als ein Verhalten gewertet, das geeignet ist, Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Unvoreingenommenheit der Schöffin zu begründen. Nach Ansicht des Gerichts ist ein solches Verhalten nicht mit der Rolle eines Schöffen vereinbar, der seine gesamte Aufmerksamkeit dem Verfahren widmen muss.

Die Konsequenz der Entscheidung ist die Ablehnung der Schöffin. Dies bedeutet, dass sie von ihrer Aufgabe in diesem Verfahren entbunden wird. Das Verfahren selbst wird ohne die betroffene Schöffin fortgeführt, möglicherweise unter Einbeziehung eines Ersatzschöffen.

Praktische Bedeutung für die Strafjustiz

Dieser Fall verdeutlicht, wie sensibel das Thema Befangenheit im Strafprozess ist. Sowohl Berufsrichter als auch Schöffen müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein, während des Verfahrens keine Zweifel an ihrer Neutralität aufkommen zu lassen. Für Angeklagte und deren Verteidiger zeigt der Fall, dass es sich lohnen kann, Verhaltensweisen von Gerichtsmitgliedern genau zu beobachten und bei Bedarf Befangenheitsanträge zu stellen.

Fazit:

Die Entscheidung des LG Dortmund ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie wichtig die Unparteilichkeit und Neutralität aller Mitglieder des Gerichts für ein faires Verfahren sind. Die Besorgnis der Befangenheit kann bereits durch den Eindruck erweckt werden, dass ein Schöffe seine Aufmerksamkeit nicht ausschließlich dem Verfahren widmet. Schöffen sollten daher stets darauf achten, dass ihr Verhalten keine Zweifel an ihrer Neutralität aufkommen lässt. Gleichzeitig zeigt der Fall, wie wichtig es für Angeklagte ist, ihre Rechte wahrzunehmen und mögliche Befangenheitsgründe frühzeitig geltend zu machen.

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