In der Praxis kommt es häufig vor, dass Steuerbescheide von Unternehmen oder Privatpersonen angefochten werden, sei es aufgrund von Schätzungen, Meinungsverschiedenheiten über Steuerpflichten oder wegen unklarer Sachverhalte. In solchen Fällen kann ein Einspruch eingelegt werden. Ein offener Einspruch allein entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung, die festgesetzte Steuer zu zahlen. Oftmals müssen Unternehmen die Steuerbeträge trotz laufender Verfahren direkt begleichen, was zu erheblichen Liquiditätsproblemen führen kann. Hier kommt das Instrument der Aussetzung der Vollziehung (AdV) ins Spiel.
Dieser Beitrag beleuchtet die Voraussetzungen, das Verfahren sowie die Chancen und Risiken der AdV und gibt praktische Tipps, wie Unternehmen und Steuerpflichtige dieses Mittel nutzen können, um ihre Liquidität während eines Steuerstreits zu sichern.
1. Was bedeutet „Aussetzung der Vollziehung“?
Die Aussetzung der Vollziehung ist ein Rechtsmittel, das es Steuerpflichtigen ermöglicht, die Zahlung einer strittigen Steuerforderung aufzuschieben, bis über ihren Einspruch oder ihre Klage endgültig entschieden wurde. Damit wird verhindert, dass der Steuerpflichtige eine möglicherweise unrechtmäßige Steuer sofort zahlen muss, obwohl noch nicht klar ist, ob der Bescheid rechtlich korrekt ist.
Das Instrument der AdV ist in § 361 Abgabenordnung (AO) und § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geregelt. Es soll verhindern, dass Steuerpflichtige durch vorschnelle Steuerzahlungen in finanzielle Schwierigkeiten geraten, während noch ein Verfahren zur Klärung der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides läuft.
2. Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung
Damit eine Aussetzung der Vollziehung gewährt wird, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Diese lassen sich in formalen und materiellen Faktoren unterteilen:
Formeller Antrag:
Der Steuerpflichtige muss einen schriftlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzamt stellen. Dieser Antrag sollte idealerweise zusammen mit dem Einspruch gegen den Steuerbescheid eingereicht werden. Der Antrag muss eindeutig erkennen lassen, dass die Vollziehung der Steuerforderung ausgesetzt werden soll, und die strittigen Punkte darlegen.
Begründeter Einspruch oder Klage:
Der Steuerpflichtige muss glaubhaft machen, dass der Steuerbescheid ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit aufwirft. Dies bedeutet, dass der Einspruch oder die Klage nicht offensichtlich unbegründet sein darf. Steuerpflichtige sollten in ihrem Antrag darlegen, warum sie der Meinung sind, dass der Bescheid rechtswidrig ist (zB fehlerhafte Schätzung, falsche Rechtsanwendung).
Keine Gefahr für die Steuererhebung:
Die Aussetzung darf nicht dazu führen, dass die Steuererhebung gefährdet wird. Das bedeutet, dass das Finanzamt sicher sein muss, dass die Steuerpflichtigen auch nach Abschluss des Verfahrens in der Lage sein werden, die Steuer zu zahlen, falls der Einspruch abgelehnt wird. In einigen Fällen verlangt das Finanzamt daher Sicherheiten, wie zB Bürgschaften, um die Aussetzung zu gewährleisten.
Glaubhaftmachung von unzumutbaren Härten:
Ein weiterer Grund für die Aussetzung der Vollziehung kann eine „unzumutbare Härte“ sein, wenn die sofortige Vollziehung der Steuerforderung das Unternehmen oder den Steuerpflichtigen in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen würde. Insbesondere bei hohen Steuerforderungen kann der Nachweis, dass die Liquidität eines Unternehmens gefährdet ist, zur Gewährung der AdV führen.
3. Verfahren und Fristen
Antragstellung:
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung kann gleichzeitig mit dem Einspruch gegen den Steuerbescheid gestellt werden. Es ist jedoch auch möglich, den Antrag später einzureichen, solange das Einspruchsverfahren noch läuft. Es wird empfohlen, den Antrag später zu stellen, um unnötige Vollstreckungsmaßnahmen zu vermeiden.
Fristen:
Für die Antragstellung gibt es keine gesetzliche Frist. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, den Antrag möglichst vor Fälligkeit der Steuer zu stellen, um zu verhindern, dass bereits Zahlungen geleistet oder Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden. Sobald der Antrag gestellt ist, wird die Vollziehung in der Regel ausgesetzt, bis über den Antrag entschieden wurde.
Entscheidung des Finanzamts:
Das Finanzamt prüft den Antrag und entscheidet, ob eine Aussetzung der Vollziehung gewährt wird. Dem Antrag kann entweder ganz, teilweise oder gar nicht stattgegeben werden. Sollte das Finanzamt den Antrag ablehnen, besteht die Möglichkeit, vor dem zuständigen Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu stellen.
Finanzgerichtliche Entscheidung:
Sollte das Finanzamt die AdV ablehnen, kann der Steuerpflichtige beim Finanzgericht die Aussetzung beantragen. Hier wird dann unabhängig geprüft, ob die Voraussetzungen vorliegen, und das Gericht kann eine eigene Entscheidung treffen.
4. Chancen und Risiken der Aussetzung der Vollziehung
Chancen:
Die AdV bietet Unternehmen und Privatpersonen einen wichtigen Schutz vor Liquiditätsengpässen. Sie verhindern, dass eine Steuerforderung gezahlt werden muss, die sich im Nachhinein als unrechtmäßig herausstellen könnte.
Insbesondere bei hohen Steuerforderungen kann die AdV existenzbedrohende Liquiditätsengpässe vermeiden und dem Unternehmen den Spielraum geben, seine finanziellen Ressourcen auf andere betriebliche Belange zu konzentrieren, während das Einspruchsverfahren läuft.
Risiken:
Sollte der Einspruch oder die Klage letztlich abgewiesen werden, ist der Steuerpflichtige weiterhin zur Zahlung der ausstehenden Steuer verpflichtet.
Zusätzlich können Zinsen anfallen, die auf den ausgesetzten Betrag erhoben werden (§ 237 AO). Dies bedeutet, dass im Falle eines negativen Ausgangs des Einspruchsverfahrens eine höhere Steuerlast auf das Unternehmen gelangen kann.
Es ist daher wichtig, eine realistische Einschätzung über die Erfolgsaussichten des Einspruchs zu treffen, bevor ein Antrag auf AdV gestellt wird.
5. Praktische Tipps für die Beantragung der Aussetzung der Vollziehung
Rechtzeitige Antragstellung:
Um unnötige Vollstreckungsmaßnahmen zu verhindern, sollte der Steuerpflichtige den Antrag auf AdV später stellen, idealerweise zusammen mit dem Einspruch gegen den Steuerbescheid.
Sorgfältige Begründung:
Der Antrag sollte sorgfältig begründet werden, insbesondere sollte klar dargestellt werden, warum ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides bestehen. Eine detaillierte rechtliche Argumentation kann die Erfolgsaussichten des Antrags erheblich verbessern.
Nachweis finanzieller Härte:
Wenn eine unzumutbare Härte geltend gemacht wird, sollte die wirtschaftliche Lage des Unternehmens detailliert dargestellt werden. Hierzu können Liquiditätspläne, Bilanzen oder andere Finanzdokumente hilfreich sein, um das Finanzamt von der Dringlichkeit der Aussetzung zu überzeugen.
Erfolgsaussichten realistisch einschätzen:
Da im Falle einer Abweisung des Einspruchs Zinsen fallen können, sollten die Erfolgsaussichten des Einspruchs sorgfältig abgewogen werden. Steuerpflichtige sollten sich in solchen Fällen unbedingt rechtlich beraten lassen.
Fazit:
Die Aussetzung der Vollziehung ist ein wichtiges Instrument, um Unternehmen und Steuerpflichtigen während eines laufenden Einspruchsverfahrens finanzielle Entlastung zu verschaffen. Sie schützt vor Liquiditätsengpässen und verhindert, dass unrechtmäßige Steuerbeträge vorzeitig gezahlt werden müssen. Dennoch birgt die AdV auch Risiken, insbesondere im Falle einer Ablehnung des Einspruchs, wenn neben der Steuerforderung auch Zinsen anfallen. Unternehmen sollten daher den Antrag auf AdV sorgfältig vorbereiten und sich bei Zweifeln rechtlich beraten lassen.