Der Pflichtteilsanspruch ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Erbrechts. Er stellt sicher, dass bestimmte nahe Angehörige auch dann einen Teil des Nachlasses erhalten, wenn sie in einem Testament oder Erbvertrag enterbt wurden. Der Pflichtteilsanspruch kann nicht vollständig entzogen werden, allerdings gibt es rechtliche Möglichkeiten, ihn zu beschränken oder in bestimmten Fällen zu verwirken. In diesem Beitrag werden die rechtlichen Voraussetzungen für den Pflichtteilsanspruch erläutert, sowie die Möglichkeiten zur Verwirkung oder Begrenzung des Anspruchs.
1. Was ist der Pflichtteilsanspruch?
Der Pflichtteilsanspruch garantiert bestimmten nahen Verwandten des Verstorbenen (Erblasser) einen gesetzlich festgelegten Mindestanteil am Nachlass, selbst wenn diese Personen im Testament oder Erbvertrag enterbt wurden. Dieser Anspruch ist in §§ 2303 bis 2338 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt.
Der Pflichtteilsberechtigte erhält dabei keinen Anteil am Nachlass in Form einer Erbschaft, sondern einen Geldanspruch, der auf den Wert des Pflichtteils beschränkt ist. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, den der Pflichtteilsberechtigte ohne Enterbung erhalten hätte.
2. Wer hat einen Anspruch auf den Pflichtteil?
Nach § 2303 BGB haben folgende Personen Anspruch auf den Pflichtteil:
- Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkelkinder)
- Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner des Erblassers
- Eltern des Erblassers, sofern keine Abkömmlinge vorhanden sind
Andere Verwandte, wie Geschwister oder weiter entfernte Angehörige, haben keinen Pflichtteilsanspruch.
3. Voraussetzungen für den Pflichtteilsanspruch
Der Pflichtteilsanspruch entsteht unter folgenden Bedingungen:
- Der Pflichtteilsberechtigte muss enterbt worden sein, d. h., er darf im Testament oder Erbvertrag nicht als Erbe eingesetzt sein.
- Der Erblasser muss zum Zeitpunkt seines Todes in Deutschland ansässig gewesen sein oder deutsches Erbrecht muss Anwendung finden.
- Es muss ein Nachlass vorhanden sein, aus dem der Pflichtteilsanspruch geltend gemacht werden kann.
- Der Pflichtteilsberechtigte darf nicht durch bestimmte Gründe von der Erbfolge ausgeschlossen worden sein (siehe Verwirkung).
Der Pflichtteilsanspruch ist innerhalb einer Frist von drei Jahren nach Kenntnis des Erbfalls und der Enterbung geltend zu machen.
4. Berechnung des Pflichtteils
Der Pflichtteil wird aus der Hälfte des gesetzlichen Erbteils des Pflichtteilsberechtigten berechnet. Um den genauen Betrag zu ermitteln, muss zunächst der Nachlasswert festgestellt werden. Der Nachlasswert entspricht dem Vermögen des Erblassers abzüglich seiner Schulden.
Beispiel: Ein Erblasser hinterlässt zwei Kinder, von denen eines enterbt wurde. Ohne Enterbung würde jedes Kind einen gesetzlichen Erbteil von 50 % erhalten. Der Pflichtteil des enterbten Kindes beträgt dann die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils, also 25 % des Nachlasses.
5. Verwirkung des Pflichtteilsanspruchs
Nach deutschem Recht kann der Pflichtteilsanspruch in bestimmten Fällen verwirkt werden. Diese Möglichkeit ist in § 2333 BGB geregelt. Ein Entzug des Pflichtteils ist jedoch nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich:
- Schweres Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erblasser oder dessen nahen Angehörigen, wie z. B. vorsätzliche Straftaten, Morddrohungen oder schwere Körperverletzungen.
- Beharrliche Pflichtverletzungen gegenüber dem Erblasser: Wenn der Pflichtteilsberechtigte beispielsweise seine familiären Pflichten grob verletzt, etwa durch wiederholtes, grundloses Verweigern des Kontakts.
- Erb- oder Pflichtteilsunwürdigkeit: Wenn der Pflichtteilsberechtigte versucht hat, den Erblasser zu töten oder ihn in sonstiger Weise erheblich zu schädigen, kann er nach § 2339 BGB für erb- oder pflichtteilsunwürdig erklärt werden.
In diesen Fällen kann der Erblasser den Pflichtteilsanspruch in einem Testament oder Erbvertrag entziehen. Der Entzug muss allerdings konkret begründet werden, und es müssen die oben genannten Tatbestände erfüllt sein. Ein pauschaler Entzug ohne konkrete Angabe der Gründe ist nicht zulässig.
6. Begrenzung des Pflichtteilsanspruchs
Neben der Verwirkung gibt es weitere rechtliche Mittel, den Pflichtteilsanspruch zu begrenzen:
a) Pflichtteilsstrafklauseln
Eine beliebte Möglichkeit, den Pflichtteilsanspruch zu begrenzen, sind sogenannte Pflichtteilsstrafklauseln. Dabei wird in einem Berliner Testament festgelegt, dass ein Pflichtteilsberechtigter, der nach dem Tod des ersten Elternteils seinen Pflichtteil geltend macht, auch nach dem Tod des zweiten Elternteils nur den Pflichtteil erhält. Dadurch wird ein Anreiz geschaffen, auf den Pflichtteil nach dem Tod des ersten Elternteils zu verzichten, um später als regulärer Erbe berücksichtigt zu werden.
b) Pflichtteilsverzicht
Ein Pflichtteilsberechtigter kann durch einen Pflichtteilsverzichtsvertrag gemäß § 2346 BGB auf seinen Pflichtteil verzichten. Ein solcher Verzicht muss notariell beurkundet werden. Der Pflichtteilsverzicht wird häufig im Rahmen von vorzeitigen Erbausgleichszahlungen oder familiären Absprachen vereinbart.
c) Schenkungen zu Lebzeiten
Eine Möglichkeit, den Pflichtteil zu reduzieren, besteht darin, dass der Erblasser noch zu Lebzeiten Teile seines Vermögens verschenkt. Nach § 2325 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte jedoch im Rahmen des sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruchs Schenkungen zurückfordern, die innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgt sind. Die Schenkung wird jedoch pro Jahr um 10 % abgewertet, sodass nach zehn Jahren kein Ergänzungsanspruch mehr besteht.
d) Anrechnung von Schenkungen
Wenn der Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen an den Pflichtteilsberechtigten gemacht hat, können diese auf den Pflichtteil angerechnet werden, sofern dies im Schenkungsvertrag oder Testament so festgelegt wurde.
7. Fazit: Pflichtteilsanspruch – ein starkes, aber nicht unantastbares Recht
Der Pflichtteilsanspruch schützt nahe Angehörige des Erblassers davor, vollständig enterbt zu werden. Dennoch gibt es Möglichkeiten, diesen Anspruch zu begrenzen oder in Ausnahmefällen sogar zu entziehen. Sowohl Erblasser als auch Pflichtteilsberechtigte sollten sich der rechtlichen Feinheiten bewusst sein, um Streitigkeiten zu vermeiden und klare Regelungen für den Nachlass zu schaffen.
Für Erblasser ist es ratsam, eine vorausschauende Nachlassplanung zu betreiben, um unerwünschte Pflichtteilsansprüche zu minimieren. Für Pflichtteilsberechtigte ist es wichtig, ihre Rechte zu kennen und im Falle einer Enterbung ihre Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen.